Vom Hype zum neuen Normal: B2B Media Days 2024 im Zeichen von KI in der Fachmedienwelt

Über aktuelle Herausforderungen und Perspektiven der B2B-Medienbranche diskutieren, Insights in Business Cases erhalten und daraus lernen,sich mit alten und neuen Kolleginnen und Kollegen austauschen: Wer das miterleben will, bucht sich ein Ticket für die B2B Media Days, den Kongress der Deutschen Fachpresse. Am 16. Mai 2024 trafen sich rund 280 B2B-Medienschaffende im Palais der Berliner Kulturbrauerei, um genau das zu tun. Ein Themenschwerpunkt: Die Etablierung von KI in der Fachmedienwelt. 

»Wie das große AI-Rennen ausgeht, das ist noch nicht so ganz ausgemacht«, stellte Moderatorin Juliane Paperlein in ihrer Begrüßung zu den B2B Media Days 2024 fest. Mit Blick auf das Tagesprogramm wurde dabei schnell klar: In den Keynotes, Vorträgen und Gesprächsrunden des diesjährigen Kongresses dominierte ein Thema: die Entwicklung und die Anwendungsfelder Künstlicher Intelligenz (KI).Bei bestem sommerlichen Wetter bekamen die Kongressteilnehmer:innen bis zum Ende des Tages einen klaren Einblick, wohin die KI-Reise noch führen könnte und auf welcher Etappe sich die Fachmedienwelt aktuell befindet.

Marion Winkenbach, Geschäftsführerin von DIN Media und stellvertretende Sprecherin der Deutschen Fachpresse, verwies in ihrer Eröffnungsrede, die sie für den erkrankten Fachpresse-Sprecher Holger Knapp (Sternefeld Medien) hielt, zunächst auf drei wichtige Eckdaten. Denn durch sie wurde der Grundstein für die moderne digitale Kommunikation und die heutige KI-Landschaft gelegt: Die Erfindung des World Wide Web durch Tim Berners-Lee 1989, die Einführung des Webbrowsers Netscape im Jahr 1994 und die Gründung von Facebook vor ziemlich genau 20 Jahren. Vor diesem Hintergrund beglückwünschte sie augenzwinkernd jene Fachpresse-Kolleginnen und -Kollegen, die bereits lange der Branche angehören und »seit mehr als 30 Jahren Transformationsformationsarbeit« leisten. Und fügte gleich hinzu: »Jetzt ist es Zeit für die Fortsetzung – mit anderen Mitteln. Denn jetzt kommt noch die KI dazu mit all ihren Chancen und Risiken.«  

Optimistischer Blick in die Zukunft

Dabei stimmt der Blick auf die kürzlich veröffentlichte Fachpresse-Statistik 2023, die jährliche Erhebung zum deutschen Fachmedienmarkt, positiv, so die Geschäftsführerin von DIN Media. Denn zum einen ist der Gesamtumsatz der Fachmedienhäuser gegenüber 2022 um drei Prozent gestiegen, und zum anderen stellt das Digitalgeschäft zum wiederholten Mal den wichtigsten Umsatztreiber der Fachverlage dar. »Nicht nur deshalb können wir optimistisch in die Zukunft schauen. Wir setzen die digitale Transformation fort und sehen in Künstlicher Intelligenz die Chance, die internen Prozesse zu optimieren und unseren Kunden noch bessere Produkte anzubieten«, so Marion Winkenbach.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, betonte in ihrer Begrüßung, dass die Medienschaffenden längst mit Künstlicher Intelligenz arbeiten und Vorteile und Chancen durchaus erkannt würden. Zugleich müsse man sich aber auch die grundlegende Frage stellen, was dabei »für uns als Branche und Gesellschaft nützlich ist und welche Leitplanken es dafür braucht«.   

Auch Philipp Welte, Vorstandvorsitzender des Medienverbands der freien Presse (MVFP) und Vorstand bei Hubert Burda Media, verwies in seiner Rede auf die Zahlen der neuesten Fachpresse-Statistik, die den erfolgreichen Weg der Fachmedienhäuser in die »neue digitale Wirklichkeit« belegen. Zugleich betonte er die besondere Rolle der Branche: »Unsere Verantwortung ist es, die Gesellschaft mit sorgfältig recherchierten Informationen und hochwertigem Wissen zu versorgen.« Aktuell sieht Welte die Branche in einem »Kampf gegen das organisierte Verbrechen«, welches mit KI die Inhalte der Verlage stehle. Zugleich übte er Kritik daran, dass auch das Thema KI-Entwicklung bislang ausschließlich in der Hand der digitalen Monopole liege. Dennoch stimme ihn der Blick in die Zukunft optimistisch, so Philipp Welte – auch angesichts des Selbstverständnisses und der »langen Lebenslinien« von Verlagshäusern wie Rudolf Müller, Georg Thieme oder C.H. Beck. Am Vorabend beim Executive Dinner im Vorlauf zu den B2B Media Days war Thieme-Verleger Albrecht Hauff in Anerkennung seines großen Engagements für die Buchbranche vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Friedrich Perthes-Medaille verliehen worden.

Die neue Rolle von KI

Wohin nun konkret die Reise in Sachen KI führen wird (und muss), konnten die Teilnehmenden sowohl der anschließenden Keynote von Carsten Baumgarth, Professor an der HWR Berlin und der Ho-Chi-Minh-City Open University in Vietnam, als auch dem Vortrag von Jan Pilhar, Executive Director bei IBM iX, entnehmen. Storyline von Baumgarths Keynote zu Markenführung und Markenarbeit war das Mantra, dass die Unternehmen im Bereich KI von der Spielerei zu echten Use Cases kommen müssen. Sinnvolle KI-Anwendungsfälle könnten beispielsweise die Entwicklung von Markenpositionierungen, die Gestaltung einer markenkonsistenten Kommunikation oder die Echtzeit-Evaluation von Live-Kommunikation (z.B. an Messeständen) sein. Zum Abschluss seines Vortrags formulierte der Marketing-Professor sieben Empfehlungen für den Einsatz von KI in der Markenführung. Den Fachmedienmachern und -macherinnen riet er dabei zum einen, den neuen Kollegen KI mit offenen Armen zu begrüßen, wies aber auch auf die wachsende Bedeutung von Domänen-Expertise zur Beurteilung der Ergebnisse hin. Und er betonte, dass unser aller KI-Wissen trotz steigender Anwendungsfälle »nie über das Beta-Stadium« hinausgehen werde. Dennoch sieht Baumgarth in KI eine echte Chance und so lautete sein Credo: Die Reise, die Unternehmen zu bewältigen haben, muss von der KI-Spielphase (»Wow! KI löst alle meine Aufgaben in Sekundenschnelle.«) hin zu sinnvollen Use Cases (»Zusammen mit KI kann ich Markenaufgaben lösen.«) führen.

Standardisierte KI-Lösungen statt Eigenentwicklung

Auch in Jan Pilhars Vortrag wurde deutlich, dass sich die Phase des Experimentierens und Spielens mit Tools wie ChatGPT oder Midjourney allmählich abkühlt. Dass der Wirbel um KI auch bei den von ihm betreuten Kunden seit Ende 2023 etwas nachlasse, liege unter anderem auch daran, dass die Nutzung großer generativer AI-Modelle im Unternehmen auf Dauer mit sehr hohen Kosten verbunden sei, so Pilhar. Allerdings ist das Consulting-Team von IBM iX fest davon überzeugt, dass der bisherige Hype vollkommen gerechtfertigt war und ist und KI auch künftig eine zentrale Rolle bei der digitalen Transformation einnehmen werde. Wenn es beispielsweise darum gehe, in Bereichen wie Marketing oder Sales oder bei Office-Anwendungen die Produktivität zu steigern, werde die Technologie künftig zum Standard werden, erklärte er. Unternehmen, die damit arbeiten wollen, bräuchten dazu keine eigenen Tools zu entwickeln, sondern müssten lediglich abwarten, bis man hier in naher Zukunft auf standardisierte Kauflösungen zurückgreifen könne, so Jan Pilhar.

Viel ausprobiert und mit KI-Anwendungen experimentiert hat seit Ende 2022 auch Jonathan Kemper, freier Technikjournalist und Redakteur des KI-Fachmagazins THE DECODER. Bereits bei der Young Professionalsʼ Media Academy der Deutschen Fachpresse Anfang des Jahres hatte er aufgezeigt, was KI-Tools schon jetzt können. Mit der Veröffentlichung von GPT-4.0 zwei Tage vor dem Kongress hatten sich diese Möglichkeiten nun nochmals verändert. Kemper zeigte dem Publikum in seinem 30-minütigen Vortrag nicht nur aktuelle Beispiele für die rasante Veränderungsgeschwindigkeit der Technologie auf, sondern präsentierte auch einen nützlichen Überblick über die derzeitigen Top-KI-Modelle in den Bereichen Text, Bild, Video und Stimme – inklusive Potentialcheck. In der anschließenden Session zum Thema »KI richtig managen« stellte Kempers Kollege Benjamin Danneberg, Mitgründer der KI-Beratung DEEP CONTENT by Heise und Mitherausgeber von THE DECODER, mit DC/IO ein selbstentwickeltes Tool vor, das in der Lage ist, zuverlässige und transparente Content-Workflows mit generativer KI zu erstellen. Ursprünglich wurde DC/IO nur für die eigenen inhaltlichen Prozesse entwickelt, inzwischen bietet DEEP CONTENT das Tool auch als standardisierte Unternehmenslösung fürs Publishing an.

Kreativer Einsatz von KI

Ein beeindruckendes Beispiel für den kreativen Einsatz von KI im Newsroom stelle der Botti-Newsletter von heise online dar, so Danneberg. Zweimal pro Tag verschickt die Redaktion diesen Newsletter, der vier Links sowie eine An- und Abmoderation durch den heise-Bot »Botti« umfasst, an insgesamt etwa 50.000 Nutzende auf vier verschiedenen Kanälen. Vor DC/IO brauchte man für die Erstellung dieses Newsletters ungefähr eine Viertelstunde – nun sind es weniger als zwei Minuten, wie Benjamin Danneberg aufzeigen konnte. Wer zuvor den Vortrag von Johanna Heise, Gesellschafterin der heise group, angehört hatte, kannte den Chatbot bereits. Denn »Botti« nannte Johanna Heise als eines der zahlreichen Beispiele für den Einsatz von KI bei heise medien. Ein Schwerpunkt ihres Vortrags war die strategische Neuausrichtung von heise als Antwort auf eine sich verändernde Welt und eine gestiegene Unsicherheit. Die Volatilität der Märkte, der Rückgang der Verkäufe traditioneller Printmagazine und die Veränderungen der Arbeitsplatzkultur stellen zentrale Herausforderungen dar, denen sich das Familienunternehmen gegenüber sieht. Mit Johanna Heise ist im vergangenen Jahr die vierte Generation in das Hannoversche Medienhaus eingestiegen. Ihre erste große Aufgabe bestand darin, ein modernes Branding-Konzept für die Dachmarke »heise« zu entwickeln und damit auch den Beschäftigten eine Perspektive für die Zukunft zu bieten. 

Um den Austausch eigner Erfahrungen rund um das Thema KI und Technologie ging es bei der Transformation Journey am Nachmittag, einem Format, das bereits im vergangenen Jahr gut beim Kongresspublikum ankam. In vier halbstündigen Gesprächsrunden wurde intensiv in kleinen Gruppen über die Themen »KI und Content Creation«, »Technology & Infrastructure«,»KI und Marketing & Sales« und »Organizational Development« diskutiert. 

Reichweite für Newsletter, Podcasts und Verticals

Auch abseits des Themas KI fanden die Besucherinnen und Besucher des Kongress Inspirationen. So erklärte Paul Horlacher, Director Commercial Strategy bei Gabor Steingarts »ThePioneer«, welche vier Alleinstellungsmerkmale »ThePioneer« ausmachen und wie es dem Redaktionsteam gelingt, mit kostenpflichtigen Newsletter- und Podcast-Formaten Reichweite aufzubauen. Parallel berichtete Ole Jendis, Verlagsleiter Fachinformationen beim Tagesspiegel, welchen Herausforderungen man im Digitalgeschäft als Anbieter von Verticals begegnet und welche Lösungen sein Medienhaus dafür bereithält.

Newsletter- und Community-Experte Lennart Schneider, der das Publikum schon mit seinem Vortrag beim letztjährigen Kongress begeisterte, referierte diesmal über verschiedene Arten von Lock-In-Effekten bei Abo-Modellen. Mit ihnen lassen sich – sofern man sie clever einsetzt und es nicht überteibt – wirksame Kundenbindungseffekte erzielen. Dass auch der Award der Deutschen Fachpresse ein überaus effektives Instrument darstellt, um die Reichweite zu erhöhen und sowohl Leserinnen und Leser als auch Werbepartner zu binden, zeigte Iris Jachertz, Chefredakteurin der Zeitschrift DW Die Wohnungswirtschaft (Haufe Group), in ihrer Präsentation auf.

Fachmedien-Award zahlt sich aus

Jachertz, eine der drei Gastgebenden des Podcasts »L’immo« berichtete nicht nur von der ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte des Podcasts für die Immobilienwirtschaft und von den kreativen Marketing-Maßnahmen ihres Teams, sondern auch von dem »Schub« , der durch den Gewinn des Awards »Bester Podcast 2023« ausgelöst wurde. Dank der Auszeichnung konnten einerseits die Reichweite, der Bekanntheitsgrad und die Vermarktungserlöse gesteigert werden. Aber auch eine exklusive Zusammenarbeit mit der größten und wichtigsten Immobiliennmesse sowie die Zusage von Bundesbauministerin Klara Geywitz als Gesprächsgast sind Erfolge, die laut Iris Jachertz unmittelbar auf den Fachmedien-Award zurückzuführen sind.

Stichwort Preisverleihung: Auch in diesem Jahr boten die B2B Media Days den Rahmen für die traditionelle Verleihung der Awards »Fachjournalist:in des Jahres« und »Fachmedium des Jahres«. Diesmal wurden die drei Awards für exzellenten Fachjournalismus bereits am Nachmittag vergeben und mit einer Diskussionsrunde zu den (auch durch KI ausgelösten) aktuellen Herausforderungen von Fachredaktionen verbunden. Die Preise für die besten deutschsprachigen Fachmedienangebote wurden am Abend des Kongresstages verliehen. Anschließend bot sich den den Kongressbesucherinnen und -besuchern bein der B2B Media Night ausreichend Zeit zum Feiern, zum Netzwerken und zum Austausch darüber, welche Wege die KI-Nutzung als Nächstes einschlagen wird.

Ina Jungbluth